Es war einmal ein Mann, der sammelte Noten. Alle Regale seines Zimmers waren angefüllt mit den Noten wunderbarer Musikstücke. Alles Geld gab der Mann aus, um immer mehr und noch wertvollere alte Notenausgaben zu erwerben. Er sortierte sie sorgfältig ein und freute sich an seiner wachsenden, kostbaren Sammlung.
Einse Tages klingelte ein Durchreisender an seiner Tür. Er war etwas heruntergekommen und stellte sich als "Bruder Tippel" von der Landstraße vor. Der Mann führte seinen bettelnden Gast in die gute Stube, um ihm etwas zu Essen zu bringen.
Staunend blickte der Durchreisende auf die vollen Regale mit all den schönen Notenausgaben. Dann fragte er: "Was sind das alles für wunderbare Bände in deinen Schränken?" - "Ich sammle Noten", erwiederte der Gastgeber. "Spielst du sie denn auch?", fragte der andere. Da wurde der Mann etwas verlegen: "Nein, ich spiele kein Instrument, und ich habe auch keine Zeit, die Noten zu spielen, meine Zeit reicht kaum, sie alle zu sammeln!" "Bruder Tippel" schwieg eine Zeit, dann holte er eine alte Mundharmonika aus seiner Manteltasche und begann, darauf zu spielen. Es klang nicht immer ganz rein und sehr virtuos, aber der Mann war mit Hingabe bei seiner Musik.
Als er schließlich ging, verabschiedete er sich: "Ja, ja, so ist das, die einen sammeln ihr Leben lang Noten, die anderen machen ihr Leben lang Musik." (Nach R. Deichgräber)
Was nützen uns die Tage, die wir im Kalender bei uns tragen, wenn wir sie nicht leben? Was nützen uns die Erfahrungen, die wir in Bücher eintragen, wenn wir sie nicht ausleben? Was nützen uns die Einsichten, die wir im Kopf spiechern, wenn sie nicht Hand und Fuss bekommen?
"Die Menschen gehen daher und machen sich viel vergebliche Unruhe. Sie sammeln und wissen nicht, wer es einbringen wird!"
Psalm 39.7
Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben" © 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage 2015 /
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
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