Ein Mädchen kommt weinend zu mir und sagt: "Niemand versteht mich! "Ich sage:" Du hast Eltern, die sich Mühe geben mit dir." "Ja, aber richtig verstehen können sie mich nicht!" Ich frage: "Hast du Freundinnen und Freunde, mit denen du reden und deine Gedanken teilen kannst?" Ja, die sind alle nett zu mir, aber mein Innerstes, was mich letztlich bewegt, verstehen sie auch nicht!' Dann sage ich zu ihr: "Verstehst du dich denn selbst?" Da hören die Tränen plötzlich auf, und nachdenklich sagt das Mädchen: "Ich verstehe mich ja selber nicht ganz!"
Ja, wir können uns selbst und einander nicht ganz verstehen. Das gehört mit zu uns Menschen jenseits von Eden. Wir sind einander wie ein Versprechen, das nicht gehalten werden kann. Wir können uns im Letzten nicht verstehen. In den Höhen des Glücks, in den Tiefen des Leides, in den letzten Fragen nach Wahrheit, in der Einsamkeit des Todes, in der Verantwortung vor Gott können wir uns das Leben letztlich nicht teilen. Es bleibt ein Rest Einsamkeit. Das gehört zu uns Menschen nach Adam und Abel, nach Kain und Babel. Das gehört mit zur Last des entfremdeten Menschen.
Die Einmaligkeit des Menschen ist immer auch seine Einsamkeit. Aber Gott in seiner Liebe teilt unser Leben in einem ganz tiefen und restlosen Verstehen. Sein Mitwissen mit uns wird ein Mitleben, Mitfreuen, Mitleiden, Mitsterben und Für-uns-Auferstehen. Einer versteht mich!
"Wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende!"
(Johannes 13,1)
Axel Kühner "Überlebensgeschichten für jeden Tag"
© 1991 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 21. Auflage 2018
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
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