"Nach dem Polenfeldzug war ich vier Jahre an der Ostfront und dann viereinhalb Jahre in russischer Gefangenschaft. Nun hatte ich im Krieg russisch gelernt. Das wusste unser Rotarmist, der uns bewachte. Eines Tages rief er mich von der Arbeit weg und wollte mit mir eine rauchen, weil ihm langweilig war. Aus seinem Russenhemd zog er einige Blätter Papier, streute Tabak darauf und zündete die handgemachte Zigarette an. Ich sah das übrige Papier an, es war bedruckt, ich las und bemerkte die alte sowjetische Schreibart und erkannte mit einem Mal: Das sind Blätter eines russischen Neuen Testamentes. Ich bat den Soldaten um den Rest der Papiere, die er in seiner Gymnasterka stecken hatte, und versprach ihm dafür ein paar Blätter der ‚Prawda’. Ich bekam sie und hatte nun eine ‚Bibel’! Es waren ja nur wenige Reste eines Neuen Testamentes: Zwei, drei Seiten vom Römerbrief, ein bisschen vom 1. Korintherbrief, ein bisschen Apostelgeschichte und ein bisschen Johannesevangelium - russisch. Ich las und las immer wieder, und Gott ließ mich seine Verheißungen verstehen. Sie galten mir. Unter den wenigen Seiten befand sich auch der Text von der Hochzeit zu Kana. Jesu Worte und sein Zeichen an den sechs Wasserkrügen zeigten mir mit voller Klarheit, wie wunderbar groß Gott ist und wie seine Barmherzigkeit niemanden abschreibt, der sich an ihn hält. Aus meinem vergeblichen Hoffen auf Rückkehr in die Heimat wurde ein getrostes Warten, gleich wohin er mich führt. Nun hatte das Wort der Bibel selbst zu mir gesprochen und hatte mich zum Zeugen der Worte Christi gemacht. Ein weiter, langer Weg, und es gab keinen einzigen vergeblichen Tag in dieser Zeit, ich hatte ja meine ‚Bibel’ und führte täglich mit Gott mein Gespräch." (Oskar Sakrausky) Herr, lass mir deine Gnade widerfahren, deine Hilfe nach deinem Wort! Psalm 119,41
Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage 2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlage
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