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»Gedanken für den Tag«

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  • AutorenbildAxel Kühner

Der befreiende Vertrag

"Kommt und dingt mich", rief ich, als ich des Morgens auf der steinegepflasterten Straße ging. Das Schwert in der Hand, kam der König in seinem Wagen und sagte: "Ich will dich dingen mit meiner Macht!" Aber seine Macht war mir nichts wert, und er fuhr davon in seinem Wagen. In der Hitze des Mittags standen die Häuser mit geschlossenen Türen da. Ich wanderte die krumme Gasse entlang. Ein alter Mann kam heraus mit seinem Sack voll Gold. Er sann nach und sagte: "Ich will dich dingen mit meinem Geld!" Er wog seine Münzen, eine nach der anderen, aber ich wandte mich fort. Abend war's. Die Gartenhecke stand ganz in Blüte. Das liebliche Mädchen kam heraus und sagte: "Ich will dich dingen mit meinem Lächeln!" Ihr Lächeln verblasste und schmolz in Tränen, und sie ging zurück allein ins Dunkel. Die Sonne glitzerte auf dem Sande, und die Meereswellen trieben ihr launisches Spiel. Ein Kind saß da, mit Muscheln spielend. Es hob seinen Kopf und schien mich zu kennen und sagte: "Ich ding dich mit nichts!" Und dieser Vertrag, im kindlichen Spiel geschlossen, hat mich fortan zum freien Menschen gemacht. (Rabindranath Tagore) Gott will uns nicht dingen, sondern freien. Bei ihm werden wir nicht verdinglicht, also zur Sache und Funktion gemacht, sondern als Personen und persönliche Gegenüber, als Freunde und Geliebte wertgeschätzt. Gott möchte uns in seiner Liebe freimachen von allen anderen Diktaten, der Macht der Sünde, der List des Teufels, den Netzen des Verderbens, der Gewalt des Todes, den Schrecken der Vergänglichkeit, der Angst vor dem Weniger und der Gier nach Mehr. Gott möchte uns aus tiefer Verkrampfung und bitterer Verlorenheit auslösen und zugleich tröstend und bergend, schützend und schonend festhalten. Gott löst uns aus dem Verderben aus und bindet uns in seine Treue ein. Das ist das Geheimnis der Freiheit: kindlich abhängig von Gott und königlich frei von allen anderen Zwängen. In dieses Geheimnis, in dieses Heim und Haus lädt Gott uns ein. Er möchte mit uns den befreienden Vertrag der Liebe schließen, und wir sollten ihn bitten: "Komm und freie mich mit deiner unbedingten Liebe!" Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte. Jeremia 31,3

 

Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"

© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage 2016

Mit freundlicher Genehmigung des Verlage


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