Staufenkaiser Friedrich II. lebte um 1250 in Palermo. Er wollte die Ursprache der Menschen herausfinden. In einem Waisenhaus ließ er Findelkinder unterbringen und von Kinderpflegerinnen versorgen. Sie sollten die Säuglinge mit Nahrung und Fürsorge bestens hegen und pflegen. Nur eines wurde den Pflegerinnen strengstens verboten: mit den Kindern ein Wort zu sprechen. Wenn die Kinder nie ein Wort in einer bestimmten Sprache hören, so dachte der Kaiser, würden sie eines Tages in der Ursprache der Menschen anfangen zu reden. Das Experiment brachte nicht die Ursprache der Menschen, wohl aber die Urbedürfnisse des Menschen an den Tag. Denn die Kinder verkümmerten und starben schließlich trotz der guten Pflege und Ernährung. Daran wird deutlich, was wir Menschen im Letzten zum Leben brauchen. Neben aller sächlichen Versorgung brauchen Menschen, um sich entfalten, aufblühen und leben zu können, Worte der Liebe. Wenn man zu den Menschenkindern nicht Worte der Liebe spricht, dann gehen sie zugrunde, und wenn sie noch so viel zu essen haben.
Jeder Mensch braucht zum Leben eine Liebe, die ihn birgt und trägt. Diese Liebe wird durch das Wort vermittelt und begreifbar. Darum hat Gott immer wieder seinen Menschenkindern sagen lassen: "Ich habe dich je und je geliebt!" Darum wurde sein Wort der Liebe schließlich Mensch, damit wir die Worte Jesu noch deutlicher, menschlicher, fassbarer hören können: "Gleichwie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibet in meiner Liebe!" (Johannes 15,9).
Worte und Zeichen brauchen wir, um der Liebe gewiss zu werden. Und Liebe brauchen wir, um leben, aufleben und überleben zu können.
"Mit einer Kindheit voll Liebe kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten."
(Jean Paul)
Axel Kühner "Überlebensgeschichten für jeden Tag"
© 1991 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 21. Auflage 2018
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
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