Kinder, die taub waren, blieben früher immer auch stumm, obwohl sie voll ausgebildete Sprachorgane hatten. Gehörlose waren immer sprachlose Menschen. Das erinnert uns daran, dass wir nur sagen können, was wir auch hören, nur wiedergeben können, was wir auch empfangen haben. Wir sind nur Empfänger und in allem, was wir von uns geben, angewiesen, es vorher bekommen zu haben. Lebensraum und Lebenszeit, Lebenskraft und Lebensgefährten, Lebenswege und Lebensziel haben wir nicht aus uns. Wir haben sie empfangen und müssen nun richtig mit ihnen umgehen.
Auch unsere äußere Bauart erinnert daran, dass wir mit zwei Ohren doppelt so viel hören, wie wir dann mit einem Mund sagen können. Menschliche Worte sind immer nur Antworten und setzen den Anspruch und Zuspruch voraus. Darum ist beim Erlernen der Mutter- oder Fremdsprache der passive Wortschatz, also, was wir hören und verstehen, immer größer als der aktive Wortschatz, also, was wir sagen und anderen zu verstehen geben können.
Auch das innerste geistliche Leben erinnert uns daran, dass wir Empfänger sind. Jedes Gebet zu Gott ist im Grunde ein Gebet von Gott. Denn Beten und Glauben sind letztlich nicht unsere menschlichen, sondern Gottes Möglichkeiten in uns Menschen. Was wir zu Gott sagen, haben wir zuvor von ihm empfangen. Das wird am deutlichsten am Vaterunser. Jesus hat uns das Gebet gegeben, damit wir es zu Gott beten.
Unser Denken ist Nachdenken, unser Leben Nachleben, unser Sprechen Nachsprechen, unser Beten Nachbeten. Wir sind immer erst Nachfahren, bevor wir dann auch Vorfahren für andere werden. Darum ist die wichtigste Frage, wem wir nachleben, nachdenken, nachfolgen, nachsprechen und nachbeten.
Und Jesus sah Levi am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.
Markus 2,14
Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben" © 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage 2015 /
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
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